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WLSB-Präsident Andreas Felchle im Interview mit der Wochenzeitung

Der Präsident des Württembergischen Landessportbundes (WLSB) Andreas Felchle über Sport in Zeiten der Corona-Pandemie.

Maike Wagner: Guten Tag Herr Präsident Felchle. Starten wir doch gleich einmal mit einer in den aktuellen Zeiten nicht ungewöhnlichen Frage: Wie geht es Ihnen persönlich?
 
Andreas Felchle: Danke der Nachfrage. Gesundheitlich gut. (Obwohl ich mich als Noch-nicht-Sechziger beim Impfen nicht vorgedrängelt habe.) Stimmungsmäßig ging´s mir, wie inzwischen den meisten, schon mal besser …
 
Wagner: Sie sind im Hauptberuf ja Bürgermeister der Stadt Maulbronn im Nordschwarzwald. Stellen Sie uns doch einmal Ihre Gemeinde kurz vor, was macht einen Besuch lohnenswert?
 
Felchle: "Nordschwarzwald" ist ein bisschen irreführend: Der Enzkreis, in dem Maulbronn liegt, gehört tatsächlich zum Regionalverband Nordschwarzwald. Aber bei uns werden Sie keine "schwarzen Wälder" finden - auf der "altwürttembergischen Seite" zwischen Stuttgart und Karlsruhe, mitten im Naturpark Stromberg - Heuchelberg. Womit ich einen Besuchsgrund bereits erwähnt habe: Landschaftlich richtig schön hier - viel Wald, Wein, Wasser zwischen Kraichgau und Neckar. Und dann natürlich das UNESCO-Weltkulturerbe "Kloster Maulbronn" mit all seiner Top-Kultur (aus allen Sparten) - mordsmäßig viel und gut für ein 6.700-Einwohner-Städtle.
 
Wagner: Wie sieht es denn bei Ihnen vor Ort mit dem Sportangebot aus? Bürgermeister der Stadt und gleichzeitig WLSB-Präsident, das ist doch eine ideale Kombination für den Sport in Ihrer Stadt.
 
Felchle: Freizeitsport-Möglichkeiten (fast) ohne Ende - zu Lande und zu Wasser, z. B. dem "Tiefen See" direkt beim Kloster. Die Stadt unterhält ein bemerkenswert gutes "Sportzentrum", ein weiteres Sportgelände im Stadtteil Zaisersweiher, 4 Sporthallen und unterstützt ihre Sportvereine nicht zuletzt beim Betrieb von Tennisplätzen, Reit- und Schießanlagen …
 
Wagner: Präsident des Württembergischen Landessportbundes (WLSB), das ist ja schon ein gewichtiges Amt mit einer hohen Verantwortung und sicherlich auch großem zeitlichen Engagement.
 
Felchle: "Gewichtig" müssen andere beurteilen. Es ist jedenfalls in vielfacher Hinsicht spannend, WLSB-Präsident zu sein. Für mich war es nach rund "45 Jahren Sportler und Sport-Ehrenamtler seit Jugendzeiten" 2017 irgendwie logisch, mich um dieses "Pöschtle" zu bewerben: Ich habe dem Vereins- und Verbandssport ungeheuer viel zu verdanken - aber, glaub´ ich, auch manches an Erfahrung und Herzblut einzubringen. Den zeitlichen Aufwand (pro Woche inklusive Wochenenden im Schnitt schon so 20 bis 25 Stunden) nehme ich hierfür gerne in Kauf. - Andere sammeln Briefmarken - Andi Felchle ist bekennender Vereinsmeier.
 
Wagner: Wie halten Sie es denn selber mit sportlichen Aktivitäten, bleibt Ihnen dafür noch Zeit?
 
Felchle: DAS genau ist allerdings das Problem: Neben ca. 60 Schultes-Stunden pro Woche komme ich vor lauter "Sportfunktionieren" kaum noch zum selber aktiv sein. Ich nenne ein Standfahrrad mein Eigen, auf dem ich (zumindest manchmal …) zu nachtschlafender Zeit "herumstrample".
 
Wagner: Herr Felchle, wie sind denn Sie persönlich zum Sport gekommen, haben Sie eine Lieblingssportart? Auch als Präsident eines solchen großen Verbandes darf man doch persönliche Vorlieben haben. Nun wird einem ein solches Amt ja bestimmt nicht gerade schon in die Wiege gelegt. Wie war das bei Ihnen?
 
Felchle: Von Haus aus bin ich Schwimmer - 1969 im zarten Alter von 7 Jahren "Gründungsmitglied" der Schwimmabteilung des TSV Berkheim (Esslingen) geworden. Weil ich furchtbar schlecht war als Wettkampfschwimmer, habe ich mit 16 beschlossen, lieber schwimmen zu lassen: Als Trainer war ich gar nicht schlecht. Parallel Jugendsprecher - Jugendleiter, im Verein und im Schwimmverband (deshalb seit 1983 mit Verbindung zur Württ. Sportjugend) - Vizepräsident und dann Präsident im Schwimmverband Württemberg (und deshalb seit 1992 in Gremien des "erwachsenen" WLSB) - von 2012 bis 2017 WLSB-Vize für Finanzen.
 
Wagner: Gerade in der aktuellen Zeit hat es der Sport insgesamt ja nicht leicht. So gut wie keine Sportart kann ihren Sport ausüben. Sport zum Beispiel in Kindergärten, in Schulen, im Gesundheitssport ist nicht möglich. Damit fällt eine hoch gelobte Aufgabe des Sports gerade flach, Kinder, Jugendliche, Senioren in Bewegung bringen und halten….
 
Felchle: "Corona" mit inzwischen millionenfachen Toten und beinahe unzähligen Kranken ist eine der größten Katastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts. - Wer das leichtnimmt oder gar verleugnet, ist einfach nur dumm. Deshalb muss es all die mordsmäßig komplexen Diskussionen, Maßnahmen und Verordnungen geben - nichts ist zurzeit wichtiger! Dabei sind vermeintliche oder wirkliche Ungerechtigkeiten unvermeidbar und es passieren Fehler. Unser Vereins- und Verbandssport erlebt und erleidet das seit über einem Jahr: Körperliche Bewegung tut Not - auch weil ihr geistige Bewegung folgt. Das gilt für uns alle, nicht zuletzt unter gesundheitlichen Aspekten. Aber vor allem für die Kinder. Dass wir in den Vereinen fast nichts machen können, ist jetzt schon eine gewaltige Hypothek für die Zukunft. "Bloß" als Beispiel: Wir haben im WLSB 2020 rund 40.000 Kinder weniger als Mitglieder als 2019 - und das in einer Gesellschaft, die eh zu erheblichen Teilen auf "Couch-Potato" macht und Kinder zunehmend zu Grobmotorikern und Nichtschwimmern!
 
Wagner: Fehlt da dann nicht auch die Möglichkeit, Nachwuchs für den Spitzensport zu gewinnen und zu fördern? Wie sieht es aus Ihrer Sicht mit der Motivation des Nachwuchses aus?
 
Felchle: Um die Nachwuchsförderung im Leistungssport mache ich mir "Corona-bezogen" noch keine allzu großen Sorgen. Die für bewussten sportlichen Leistungsvergleich gewonnenen Kinder und Jugendlichen bleiben ganz überwiegend bei der Stange. Nein, das größere Problem im spitzensportlichen Nachwuchs sind schon seit längerem a) deutlich weniger Kinder als früher und b) der "Abschied" ganzer Gesellschaftsgruppierungen von der Leistungsgesellschaft. Wenn alles bloß noch "Spaß" machen und nicht anstrengen soll, wenn Herausforderung ausgeblendet, abgeschoben wird, gerne auf "den Staat", dann passt das nicht wirklich zu einem Leben als eigenverantwortlicher Mensch, der auch mal eine Niederlage wegstecken können muss. Also zu einem Sportler.
 
Wagner: Wie sehen Sie die Sonderstellung, die Sonderrechte des Fußballs?
 
Felchle: Ambivalent. Es ist ja nicht "der Fußball", der Sonderrechte hat, sondern der Profi-Fußball (und übrigens auch sonstiger Profi-Sport). Einerseits den Millionen von Vereins-Freizeitsportlern und -Amateuren kaum vermittelbar. Andererseits ist Profi-Sport Teil des Wirtschaftslebens - und unsere Unternehmen (von Einzelhandel, Gastronomie und einigen anderen übelst Betroffenen abgesehen natürlich) sind seit Sommer 2020 auch nicht mehr im Lockdown.
 
Wagner: Der Sport kann ohne starke Partner nicht auskommen. Dazu gehört auch die Landesregierung. Noch vor den Wahlen konnten die Verbände in Baden-Württemberg einen neuen Solidarpakt abschließen. Was ist das eigentlich, der Solidarpakt, und wie profitieren die Sportvereine und Fachverbände davon?
 
Felchle: Oha - ein eh schon gewaltig langes Interview droht jetzt, ein "Co-Referat" aufzusetzen … Vereins- und Verbandssport tun ungeheuer viel für die Gesellschaft und ihre Glieder: Gesundheit, Fitness, Leistungsbereitschaft, Bildung, sozialer Ausgleich, Jugendarbeit, Seniorenarbeit, Integration, Inklusion, Buntheit, Demokratieschulung, Gemeinwohl-Ausrichtung, Kommunikation … wie die Kommunen tut das Land gut daran, uns zu unterstützen! Deshalb gibt´s seit vielen Jahren nicht zuletzt finanzielle Förderung für den organisierten Sport. Diese Landesmittel werden an den LSV ausbezahlt; der behält seinen Teil für den Leistungssport und gibt den "sehr großen Rest" weiter an die drei Sportbünde in Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart. Für Württemberg verwendet also der WLSB dann diese Landesmittel, um die Fachverbände zu unterstützen, den Vereinssportstättenbau und die lizenzierten Trainer, Übungsleiter, Jugendleiter, Vereinsmanager zu bezuschussen, ebenso gemeinsame Projekte von Schule oder Kindergarten und Verein, soziale Vereinsangebote, Vereinsjugendarbeit und, und, und … Ganz wichtig auch, dass der WLSB in Ostfildern-Ruit und Albstadt große Sportschulen betreibt, an denen all die "Vereinsmacher" aus- und fortgebildet werden. Das ist lange nicht alles, aber bevor das hier vollends ein Aufsatz wird … Im sogenannten "Soli IV", also dem Solidarpakt, den die Landesregierung mit dem LSV für die Jahre 2022 bis 2026 vertraglich geschlossen hat (Es ist der vierte Pakt, immer in 5-Jahres-Zeiträumen, seit 2007.) stattet das Land die Sportvereine und -verbände mit jährlich mehr als 100 Millionen Euro aus - also mehr als einer halben Milliarde Euro für die Gesamt-Laufzeit. Und das ohne Reduktionsrisiko in den Haushaltsberatungen des Landtags. Andererseits sind aber auch wir Sportler solidarisch: Es darf und wird keine Nachforderungen geben zwischen 2022 und 2026.
 
Wagner: Herr Felchle, Sie vertreten ja den Sport, den Verband des Sport in Württemberg. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit in den Verbänden.
 
Felchle: Verbände, Fachverbände nämlich, gibt´s viel, viel mehr. Sie meinen die drei Sportbünde, zwei in Baden und "mein" WLSB. Aber zwecks Sprechens mit einer Sprache gegenüber der Landespolitik und zur gemeinsamen Organisation des Leistungssports gibt´s ja auch noch den Landessportverband Baden-Württemberg als "Dach" … also nicht "nur" drei, sondern sogar vier sportpolitische Player! Insgesamt läuft das im Sport ganz gut - weil wir alle Gemeinwohlausrichtung, Demokratie- und Kompromissfähigkeit nicht zuletzt im Sportverein erlernt haben. Aber es ist natürlich schon so, dass da, wo mehrere selbständige und selbstbewusste Organisationen auf gemeinsame Nenner kommen wollen und müssen, der Weg dorthin manchmal weiter ist und die Nenner kleiner werden … und menscheln tut´s bei uns natürlich genauso wie in der Familie, unter Nachbarn, in der Politik. Der ganz sicher erhöhte Aufwand (nicht nur materiell) ist einer der Gründe für den "Durch- und-durch-Baden-Württemberger" Andi Felchle, sich EINEN Sportbund Baden-Württemberg zu wünschen. - Es ist aber bei weitem nicht nur der Sport in unserem Ländle, bei dem zwischen Wunsch und Wirklichkeit weiterhin gewaltige Lücken klaffen: Wenn man sich so umschaut in unserer total überindividualisierten Gesellschaft, passiert doch im Kleinen wie im Großen genau das Gegenteil von Zusammenschluss oder auch nur -arbeit. Denken Sie mal an Europa oder an Trump-Amerika!
 
Wagner: Was erwarten Sie von der neuen Landesregierung?
 
Felchle: Der "homo politicus" Felchle hat einen ganzen Strauß an Erwartungen … der WLSB-Präsident in mir wünscht sich weiterhin die wirklich erfreuliche Aufgeschlossenheit, mit der die bisherige Landesregierung und die vier demokratischen Fraktionen des Landtags uns Sportlern in den Soli-Verhandlungen auf Augenhöhe begegnet sind. Wir in den Sportvereinen und -verbänden sind "mehr als Sport", wie unsere leider Corona-behinderte große Landeskampagne überschrieben ist! Das haben unsere politisch Verantwortlichen erkannt und handeln danach. So muss es weitergehen - und trotz Finanzproblemen in den nächsten Jahren weiter voran! - Die von uns belegten Finanzbedarfe sind mehr als doppelt so hoch als das Ergebnis des "Soli IV"!!!
 
Wagner: Hier in Stadt und Landkreis Heidenheim bieten die 135 Sportvereine den rund 50.000 Mitgliedern ja ein breites Sportangebot, Breiten- und Wettkampfsport, z.B. auf internationaler Ebene Baseball und Fechten, national Turnen in der Bundesliga, auf hohem Niveau z.B. Handball, Ringen und Sportakrobatik. Aber auch das allgemeine gesellschaftliche Engagement spielt bei uns eine gewichtige Rolle. Was sagen Sie unseren Sportlerinnen und Sportlern zur Motivation, hat der WLSB einen Plan B für die Zeit nach Corona?
 
Felchle: Wer sonst, wenn nicht wir Sportler, hat genug Kondition, um durch diese Krise zu kommen!? Es wird weitergehen, gut und erfolgreich weitergehen. Damit das trotz zweifelsohne schon eingetretener oder noch auftretender Schwierigkeiten und Veränderungen klappt, arbeiten die haupt- und ehrenamtlichen WLSB´ler schon seit Monaten an der "Zeit nach Corona" - auf wissenschaftlichem Niveau, aber vor allem auch ganz vereins-pragmatisch.
 
Wagner: Sobald es sinnhaft ist und Corona es zulässt, hat der Sportkreis Heidenheim Sie ja zu einer besonderen Begegnung mit dem Sport in Stadt und Landkreis Heidenheim eingeladen. Da gibt es sicherlich noch genügend Zeit und Raum zum gemeinsamen Austausch. Wo und wie sehen Sie die Aufgaben der des Sportkreises in der gegenwärtigen Situation?
 
Felchle: Die 24 WLSB-Sportkreise sind eminent wichtige Multiplikatoren - in beide Richtungen: Hier in Heidenheim "versorgen" Klaus-Dieter Marx und sein Team die Vereinsmacher mit all den Informationen und Angeboten aus Stuttgart; und andersherum brauchen meine Kolleginnen und Kollegen in Präsidium, Vorstand, auf der Geschäftsstelle und natürlich ich selbst das Feedback aus Heidenheim und all den anderen Regionen im Schwabenland. Besonders wichtig ist der Sportkreis Heidenheim als Bindeglied zur regionalen Politik, den Abgeordneten hier also, dem Landrat, dem Kreistag, den Gemeinderäten und ihren Vorsitzenden. Und was nie schadet: Möglichst gute Connections zur Wirtschaft, zu den Medien, zu anderen "Kreis-Machern". Sportvereine brauchen die Möglichkeit zum Re-Start - je früher das die Pandemie-Bedingungen zulassen, desto besser.
 
Wagner: Herr Felchle, ich danke Ihnen herzlich für die Einblicke in das Leben eines WLSB-Präsidenten.


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